Enno wendet sich an mich, kurz nachdem er von seiner Hochbegabung erfahren hat. Nach mehr als fünfzig Lebensjahren, in denen er sich immer wieder als „dumm“ angesehen habe (wobei er ein Studium in Sinologie abgeschlossen hat, mehrere Sprachen fließend spricht und bestens mit Literatur aus Philosophie und Geschichte vertraut ist), hatte er sich – ebenfalls mit dem Verdacht einer ASS-Störung – einer intelligenzdiagnostischen Untersuchung gestellt.
Das Ergebnis eines IQ von 140 verstört ihn zutiefst, er berichtet von einem emotionalen Ritt über Gipfel und dann wieder durch tiefe Täler. Die Erkenntnis seines intellektuellen Potentials beglückt ihn und vermittelt ihm zum ersten Mal in seinem Leben, dass seine ihm bisher gespiegelte „Außergewöhnlichkeit“ Anerkennung verdient, in erster Linie seine eigene. Zugleich betrauert er verpasste Chancen: in einem früheren Bewusstsein seiner Fähigkeiten hätte er beruflich mehr gewagt.
Ennos Gesprächsbedarf ist groß, vieles will reflektiert und integriert werden. Seine Freude über die Fülle an Möglichkeiten, die sich ihm bieten (er lernt jetzt noch mehr Sprachen), weil er sich zunehmend selbst besser versteht und vertraut, ist deutlich gewachsen gegenüber den Phasen von Selbstzweifeln, die so vielen Hochbegabten eigen sind.