Katharina ist Mutter zweier Kinder, deren Verhalten und Äußerungen ihr selbst als altersuntypisch erscheinen. Ihr Sohn Martin besitze ein ausgeprägtes Gerechtigkeitsbedürfnis, z.B. analysiere er bereits im zweiten Schuljahr die Defizite des pädagogischen Handelns seiner Klassenlehrerin. Sein besonderes Mitgefühl für die Nöte seiner MitschülerInnen verweise möglicherweise auf seine Hochsensibilität, die die konsultierte Heilpraktikerin diagnostiziert hat. Die Kinderärztin rät aufgrund diverser perfektionistisch anmutender Eigenarten zu einer psychologischen Untersuchung hinsichtlich des Verdachts auf das Vorliegen einer Autismus-Spektrum- Störung. Eine Klangtherapeutin erkannte die Zeichen einer vorhandenen Synästhesie: Martin nehme zugleich Zahlen wahr, wenn er Töne höre.
In unserer ersten Sitzung berichtet Katharina von ihrer Sorge, den besonderen Ansprüchen ihrer Kinder, insbesondere ihres Sohnes, nicht gerecht werden zu können. Dessen Wissensdurst sei nahezu unerschöpflich, sie gebe sich alle Mühe, seine Fragen beantworten zu können. Noch am Abend forsche sie im Internet nach dazu notwendigen Fakten. Ihr eigener Anspruch „eine perfekte Mutter sein“ zu wollen kollidiere ständig mit den Ereignissen des familiären Geschehens und verursache in ihr das Gefühl nie zu genügen.
Angeregt durch unser nun folgendes Gespräch lassen die Eltern ihren Sohn in einer psychologischen Fachpraxis intelligenzdiagnostisch testen und erfahren die Bestätigung meiner Annahme seiner weit überdurchschnittlichen Intelligenz.
In vier weiteren Sitzungen gewinnt Katherina einen entspannteren Blick auf sich selbst und ihre Familie. Sie begreift, dass den Problemen ihres Familienalltags nicht eine eigene Unzulänglichkeit zugrunde liegt, sondern kann sie als positiv induzierte (Intelligenz als Gabe) Herausforderungen an ihr eigenes Potential anerkennen. Herausfordernd bleibt das Leben in einer Familie mit hochbegabten Menschen in jedem Fall. Immer wieder wollen neue Wege zur Entfaltung der intellektuellen Fähigkeiten entdeckt werden. Beispielsweise erweist sich der Schritt, Martin in einem Schachclub anzumelden, als Gewinn für seine Wahrnehmung eigener Selbstwirksamkeit: Schon nach kurzer Zeit zeigt sich sein Talent und er wird zur Teilnahme an einem Turnier nominiert.